Rezension in: Acta Comeniana 12 (XXXVI) 1997, S. 312-324.
[ISSN 0231-5955 / ISBN 80-7007-111-7]
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Inhalt:
1. Das Editionsprojekt Biblia Slavica
2. Kralitzer Bibel. Kralická bible
a) Faksimile der sechsteiligen Kralitzer Bibel (siehe auch Abbildungen)
b) Kommentare
I. Mirjam Bohatcová: Die tschechische gedruckten Bibeln des 15. bis 18. Jahrhunderts
II. Emanuel Michálek: Philologischer Kommentar zur sechsteiligen Kralitzer Bibel
III. Jan Heller: Die Theologie der Kralitzer Bibel und ihre Erforschung in den letzten zwei Jahrhunderten
IV. Milan Balabán: Der Kralitzer Kurzkommentar zum Hohelied.
Die theologische Bedeutung der Kralitzer Bibel-Anmerkungen
3. Fazit
Kralitzer Bibel. Kralická bible, Facsimile,
hrsg. von Hans Rothe und Friedrich Scholz unter Mitarbeit von Christian
Hannick und Ludger Udolph,
Paderborn - München - Wien - Zürich, Ferdinand Schöningh 1995,
7 Teilbände. - Biblia Slavica. Serie I: Tschechische Bibeln, Bd. 3.
[ISBN 3-506-71654-9]
1. Das Editionsprojekt Biblia Slavica (zurück zum Inhalt)
Dieses außergewöhnliche Editionsprojekt hat sich im Jahre 1983 das Ziel gesetzt, eine Reihe der meist wichtigen historischen Bibeltexten im slavischen Sprachgebiet, begleitet durch wissenschaftliche Kommentar-Studien, im Nachdruck erscheinen zu lassen. Der breite Umkreis wurde verteilt in sechs Serien (Sprachgebiete): tschechische, polnische, ost-slavische, oberlausitzsche, kroatische und litaunische (die alt-bulgarische Bibel des Konstantin-Methodius des 9. und 10. Jahrhunderts wurde in dieses Projekt nicht eingegliedet, weil sie schon in einem Nachdruck publiziert worden ist). Das ganze Projekt wurde ermöglicht durch großzügige Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
In der Serie I - Tschechische Bibeln sollen insgesamt vier Bibeln
im Nachdruck erscheinen:
1) die sog. Dresdner (oder Leskowetzer) Bibel; die Edition- wie auch Kommentarvorbereitung
von Vladimír Kyas;
2) die sog. Kuttenberger Bibel, eine der tschechischen Inkunabeln (illustr.,
1489);
3) die sog. Kralitzer Bibel, die klassische Übersetzung der tschechischen
Reformation (6 Bde, kommentiert, 1579-1593/94);
4) die sog. St. Wenzelsbibel, die post-tridentinische katholische Ausgabe
der ganzen Bibel (2 Bde, mit Anmerkungen, 1677-1715).
Vor dem Erscheinen der Kralitzer Bibel (1995) wurden schon zwei andere Teile dieses Faksimile-Projekts veröffentlicht. Zu ihrem 500. Jubiläum wurde die Kuttenberger Bibel publiziert: Kuttenberger Bibel. Kutnahorská [sic!] Bible bei Martin von Tišnov, hrsg. v. Reinhold Olesch und Hans Rothe, Kommentare v. Vladimír Kyas, Karel Stejskal und Emma Urbánková. Biblia Slavica. Serie I: Tschechische Bibeln, Bd. 2. 3, 2 T., Paderborn, Schöningh 1989 u. 1990. Drei Jahre später erschien die Dresdner Bibel: Staroèeská bible Drážïanská a Olomoucká. Kritické vydání nejstaršího pøekladu bible ze 14. stol. (Die alttschechische Dresdner und Olmützer Bibel. Kritische Ausgabe der ältesten Bibelübersetzung aus dem 14. Jh.), hrsg. v. Vladimír Kyas. I. Evangelien, II. Episteln. Apostelgeschichte. Apokalypse, III. Genesis - Esra, Praha 1981-1988. Biblia Slavica. Serie I: Tschechische Bibeln, Bd. 1. Paderborn, Schöningh 1993.
2. Kralitzer Bibel. Kralická bible (zurück zum Inhalt)
Der Nachdruck der Kralitzer Bibel wurde zu ihrem 400. Jubiläum (der
sechste Teil erschien im 1593/94) herausgegeben. Die kulturgeschichtliche
Bedeutung dieser Faksimile-Edition wird u.a. auch dadurch gekennzeichnet,
daß sie unter der Schirmherrschaft des Staatspräsidenten der Tschechischen
Republik Václav Havel publiziert worden ist und mit seinem Geleitwort versehen
wurde. Im Ganzen handelt es sich um sieben Bände: sechs Bände des Nachdrucks
der sechs-teiligen Kralitzer Bibel und ein Kommentarband.
Das äußere Aussehen der Herausgabe folgt der Kuttenberger-Bibel-Edition
nach; alle Bände sind in dem Format 24 × 16,5 cm auf einem umwelt - freundlichen,
chlorfrei gebleichten, matt satinierten, alterungsbeständigen Hoch-Qualitätspapier
gedruckt, die sechs Bibel-Bände auch noch mit einem goldenen Schnitt versehen.
Fester Einband im dunkelroten Halbleder mit goldener Serie- und Titelüberschrift
auf dem Rücken und kreisförmiger Maureske (entlehnt von dem sechsten Band
der Kralitzer-Ausgabe) auf der Frontseite trägt zum hohen ästhetischen
Niveau der Herausgabe bei.
a) Faksimile der sechsteiligen Kralitzer Bibel (zurück zum Inhalt)
Die Originalausgabe der Kralitzer Bibel ist registriert und beschrieben
im Knihopis èeských a slovenských tiskù od doby nejstarší až do konce
XVIII. století (Bibliographie der tschechischen und slowakischen Drucke
von der ältesten Zeit bis Ende des XVIII. Jhs.), T. II, Praha 1941, Nr.
1107-1110, wo auch die bekannten Exemplare nachgewiesen sind. Vollständige
Exemplare in sechs Bänden sind heute äußerst selten. Grundsätzlich kann
man feststellen, daß wir die erhaltenen Exemplare wegen dem komplizierten
Geschichtslauf in zweierlei Zustände finden können. Entweder gut erhaltene
Exemplare der Adelsbibliotheken - z.B. des Petr Vok von Rožemberk (Rosenberg),
welche aber wegen der ansehlich kostbaren Einbänden für Photoaufnahmen
nicht brauchbar sind, oder Exemplare der frommen Menschen einfacheren Standes,
welche man zwar wegen der nicht so wertvollen Einbänden wohl zum Photographieren
auseinandernehmen darf, welche aber dann ziemlich abgenutzt und mit zahlreichen
Strichen und Bemerkungen versehen sind. Für den Zweck des Nachdrucks ist
nach gründlicher Untersuchung wie folgt entschieden worden: die ersten
vier Bände sind aus der Kinský-Bibliothek Sammlung (Knihovna Národního
muzea - KNM: Kinský 357), der fünfte Band aus der Bibliothek der ehemaligen
Husova spoleènost (Hus-Gesellschaft) in Èeský Brod (KNM: Èeský Brod 812)
und der sechste Band aus dem Exemplar von Václav Hanka (KNM: 34 D 3) aufgenommen.
Alle sechs Teile haben nach der Titelseite der Edition eine farbige Faksimile
der bezüglichen ursprünglichen Titelseite, der Restbestand ist scharz-weiß.
Die Faksimile-Seiten sind im jeden Teil mit durchlaufender Numerierung
(unten) versehen.
b) Kommentare (330 S.) (zurück zum Inhalt)
Der von den Herausgebern hinzugefügte Teil der Kommentaren bietet eine
ausführliche forschungsgeschichtliche wie auch problemorientierte Beschreibung
der Kralitzer Bibel in ihrem geschichtlichen, bibliographischen, literarischen
und theologischen Kontext an.
Zuerst wird in dem Vorwort der Herausgeber (S. VII-XI) eine gründliche
Rechenschaft über die Entscheidungsprobleme gegeben, welche Exemplare für
diesen Nachdruck genutzt sein konnten und warum. Dazu sind Beschreibungen
und Corrigenda-Listen der Foliierung, wie auch Beschreibungen der Lagen
der einzelnen Bande beigefügt. Exhaustiv wird auch über die ausgewischte
Stock- und Schmutzflecke, wie auch Tilgung der handschriftlichen Streichungen
berichtet. Nächste Seite bringt ein dichterisches Huld in Sonett-Form aus
dem Feder des mehrsprachigen Dichters, meistervollen Übersetzers und Liebhabers
der tschechischen Sprache Pavel Eisners Tvùrcùm bible Kralické (An
die Schöpfern der Kralitzer Bibel) aus der Sammlung Sonety knìžnì
(Sonette für die Fürstin).
Nächste mehr als 270 Seiten bieten vier hervorragende Einleitungs- und
Übersichtsstudien von vornehmsten Gelehrten der betreffenden Forschungsgebiete.
I. Mirjam Bohatcová: Die tschechische gedruckten
Bibeln des 15. bis 18. Jahrhunderts (S. 1-182)
(zurück zum Inhalt)
Dieser Beitrag bietet eine minuziöse buchwissenschaftliche Übersicht
über das breite Feld der Bibel-Druck-Problematik seit ihren historischen
Anfängen bis zum Anfang des 19. Jahrunderts.
Zuerst wird eine komprimierte Übersicht über die tschechischen gedruckten
Bibeln (S. 7-13) angeboten, wobei der breitere Kontext der Übersetzung
von biblischen Texten ins Tschechische miteinbezogen wird (mit Hinweisungen
zur Fachliteratur). Damit wird der Leser grundsätzlich orientiert und kann
die darauffolgende gründliche und detaillierte Besprechungen schon mit
gewisser globalen Vorkenntniss erfassen.
Erste detaillierte Besprechung wird den Utraquistischen Bibeln gewidmet
(S. 14-39): Prager Bibel (1488), Kuttenberger Bibel (1489), Venediger Bibel
(1506), Severins Bibel (1529, 1537), Nürnberger Bibel (1540), Melantrichs
Bibel (1552, 1556/57, 1560/61, 1570, 1577) und Veleslavíns Bibel (1613).
Nach dem bibliographischen Verzeichnis kommt eine breite Besprechung der
buchwissenschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen Ausgaben. Die Vorreden
(des heiligen Hieronymus oder der Herausgeber; zur gesamten Bibel wie auch
zu einzelnen biblischen Büchern), Dedikationen und beigefügte Orientierungshilfen
werden nicht nur beschrieben und im historischen Kontext charakterisiert,
sondern auch in der jeweiligen Intention ihren Besonderheiten besprochen
und beleuchtet. So sind z.B. bei der Besprechung der Vorreden des hl. Hieronymus
die entscheidenden theologischen Motive angedeutet, welche mit der reformatorischen
Theologie in große Spannung geraten sind, so daß die Kralitzer Herausgeber
diese Vorreden nicht mehr für brauchbar halten konnten und eigene Grundsätze
für Bibellektüre in neuverfaßten Vorreden zu formulieren hatten (S. 19
u. 60ff).
Es folgt eine kurze Kapitel über Die Anfänge der humanistischen Übersetzung
der Bibel ins Tschechische (S. 40-45), wo die erste Versuche der Bibelübersetzung
aus Originalsprachen besprochen sind (das Neue Testament von Námìš, 1533,
übersetzt von Priester Beneš Optát aus Telè und Petr Gzel aus Prag; das
Alte Testament, übersetzt von Jan Vartovský von Varta, Manuskript, das
leider bereits im 16. Jh. verlorenging), wie auch das damit verbundene
Interesse die tschechische Sprache und ihre Grammatik zu beschreiben und
in ihrer Richtigkeit festsetzen. Jan Blahoslav führt in seiner Gramatika
èeská (Tschechische Grammatik, 1571) als einen der Gründe, warum er
dieses sprachliche Unternehmen so bedeutend findet, folgendes an: "Es
schien mir nicht nur nützlich, sondern fast eine Pflicht, den künftigen
Übersetzern des Alten Testaments Gottes und besonders meinen in Gott geliebten
Söhnen ein Beispiel und eine Regel der wahren tschechischen Sprache zu
hinterlassen" (S. 45).
Das nächste Kapitel Die Bibeln der Brüderunität (S. 46-97) bildet
den sachlichen Schwerpunkt der ganzen Studie. Zuerst wird ein übersichtliches
bibliographisches Verzeichnis der zehn Teil- oder Gesamt-Bibelausgaben
der Brüderunität geboten: Blahoslavs Neues Testament (1564, 1568), Kralitzer
Psalter (1579, 1581), sechsteilige Kralitzer Bibel (1579-1593/94), sechster
Teil der Kralitzer Bibel (2. Ausg. 1601), einteilige Kralitzer Bibel (1596,
1613), das Neue Testament im Taschenbuchformat (1596) und Manuálník
- Manuale oder Kern der gesamten Bibel von J.A. Comenius (1658). Dann wird
der historische und ekklesiologische Kontext vorgestellt und die Voraussetzungen
der Bibel - Übersetzungsarbeit in der Brüderunität beschrieben.
Den Kern dieser Darstellung macht die darauffolgende detaillierte Beschreibung
der einzelnen Editionen von der ersten Ausgabe des Neuen Testaments von
Jan Blahoslav bis zu der einteiligen Kralitzer Bibel von 1613 (und dem
Manuálník von J.A. Comenius) aus (S. 52-97). Die Darstellung schreitet
die übliche buchwissenschaftliche Deskription weit über, indem sie nicht
nur über die jeweilige Gestalt der Herausgabe informiert, sondern tief
in die Werkstatt der Übersetzer, Herausgeber und Drucker, in die Motivation
und Intention der einzelnen Entscheidungen im konkreten Kontext einleitet
und das ganze Vorgehen mit außergewöhnlicher Empfindlichkeit für die innere
Dynamik des leidenschaftlichen Strebens der Kralitzer um eine zutreffende
und treue Wiedergabe des Biblischen Wortes begleitet.
Der eigentliche Sinn des Bestrebens der Kralitzer, den Lesern einen richtigen
und verständlichen Text der ganzen Bibel wie auch Textvarianten der Übersetzung
und exegetische Anmerkungen in die Hand zu geben, wird darin gesehen, daß
sie (in Anknüpfung an die Grundsätze der tschechischen Reformation des
15. Jahrhunderts) die Leser zu selbständigem, verantwortlichem Nachdenken
über den biblischen Text anleiten wollten, um ein individuelles (wie auch
gemeinschaftliches) Leben in Frömmigkeit aktiv führen zu können.
Die oft diskutierte Tatsache, daß die Kralitzer bei jeder Ausgabe aufneu
in den Text eingegriffen und eine "verbesserte Edition" vorbereitet
haben, wird kritisch besprochen und im breiteren historischen wie auch
sachlichen Kontext diskutiert - mit dem Fazit, daß es nicht ein Zeichen
einer Unbeständigkeit und Wankelmuts, oder eher einer dogmatischen Unausgeprägtheit
sei, sondern ein Ergebnis des Strebens danach, Schritt zu halten mit den
kritischen Bibel-Editionen ihrer Zeit und die neuen Einsichten und Korrekturen
treu in der tschechischen Bibel zu wiedergeben (S. 89).
Die besprochenen Gegebenheiten wie auch die Thesen der Autorin sind mit
reichen Zitaten aus den Quellen (Vorreden, Anmerkungen, Dedikationen, Korrespondenz
usw.) versehen. Zitate im Tschechischen sind gleich im Text auch im Deutschen
wiedergegeben, die lateinischen Texte werden nicht übersetzt. Diese Form
der Darstellung, übrigens bezeichnend für den ganzen Beitrag von M. Bohatcová,
schließt den Lesern die anders schwierig zugängliche Bereiche auf, in denen
man die Eingentümlichkeiten und die charakteristichen Züge des Besprochenen
regelrecht wahrnehmen kann.
Einen sehr wertvollen Beitrag widmet M. Bohatcová der graphischen Gestaltung
der sechsteiligen Kralitzer Bibel, welche bisher wissenschaftlich nicht
erforscht wurde (S. 70-79). Sie bietet eine exhaustive Beschreibung aller
graphischen Gegebenheiten nach ihren Arten (Friese, Initialen und Vignetten),
wie sie im einzelnen in allen Teilen und allen Ausgabevariationen vorkommen.
Zum Schluß wird konstatiert, daß die graphische Gestaltung (insbesondere
der Friese des vierten und sechsten Teiles, der Initialen der zweiten Aufgabe
des sechsten Teiles und der Vignetten im allgemeinen) von einem überdurchschnittlichen
Niveau der Graphik der Brüderunität zeugt.
Von den Einzelheiten soll man zumindest noch den neuen Argument erwähnen,
den M. Bohatcová gegen die Vermutung (opinio communis) hervorbringt,
daß der Psalter im dritten Teil von Jiøí Strejc (Georg Vetter) übersetzt
wurde. Diese Vermutung kommt von der Mißdeutung des Umstandes heraus, daß
Strejc Autor einer sehr geliebten Psalmenparaphrase für den Gesang war;
jedoch war Strejc kein Hebraist. Der Psalmen-Übersetzer ist Izaijáš Cibulka
(Caepola) gewesen, wie man in einem Brief von Esrom Rüdinger (Lehrer der
Brüderunität in Ivanèice und Psalmenkenner) nach Kralice (1579?) explicit
lesen kann (S. 62).
Nach der Behandlung der Editionen widmet sich M. Bohatcová wieder noch
dem historischen Kontext in den Subkapiteln Die Bildung der brüderischen
Bibelbearbeiter und ihre Todesdaten und Die Bibliothek der Brüderunität
in Kralitz. Die Aufzählung aller bekannten Mitarbeiter des Kralitzer
Übersetzungs-teams faßt übersichtlich die bisherigen Kenntnisse (in einer
Tabelle-Form mit persönlichen Lebensdaten der Mitarbeiter, wie auch den
Erscheinungsdaten der betreffenden Editionen) zusammen. Die Kralitzer Bibliothek
- soweit wir ihren Inhalt rekonstruieren können - enthielt "an
die 200 zeitgenössischen ausländischen Hilfsmittel für die biblische Übersetzung
und Exegese sowie Studienmaterial für eine breitere theologische und bildungsmäßige
Wirksamkeit [...]" (S. 90). Sie sollte offensichtlich nicht nur
den Bibelübersetzern zur Verfügung stehen, sondern verschiedenen Dienern
und Mitarbeitern der Brüderunität in ihren homiletischen, pastoralen, gemeindenerbaulichen
und pädagogischen Diensten und Ämtern.
In der Besprechung der Ausgaben der Kralitzer Bibel im Exil (S.
98-113) werden wieder zuerst die wichtigsten Editionen in einem Verzeichnis
aufgelistet, danach kommentiert besprochen - das Neue Testament von Halle
(1709), Klejchs Neues Testament (1720), Liberdas Neues Testament (1730),
die Bibel von Halle (1722, 1745 und 1766), Preßburger Bibel (1787 und 1808)
und Rùžièkas Bibel (1863). Obwohl diese historische Etappe der Bibelproduktion
als "eine Art Postumus der Kralitzer Bibel" angesehen
sein kann, gibt sie doch ein deutliches Zeugnis der geduldigen Bemühungen
um die Erhaltung und Weitergabe dieser Bibel ab. Wie wichtig, ja unentbehrlich
die Kralitzer Bibel für die Erhaltung des Glaubens und der Sprache angesehen
wurde, zeigen deutlich die Vorworte einiger Editionen, besonders das Vorwort
in Václav Klejchs Neuen Testament (1720) und J.T. Elsners Vorrede zur Bibel
von Halle (1766).
Der letzte Teil des Kapitels ist den römisch-katholischen Bibeln
gewidmet (S. 114-176). Wie in den vorangehenden Kapiteln wird auch hier
zuerst ein Verzeichnis der Editionen gegeben, namentlich der drei Ausgaben
der St. Wenzelsbibel (1677-1715, 1769-1771, 1778-1780). Dann kommt eine
ausführliche, mit vielen Zitaten aus den Vorreden und Anmerkungen wie auch
aus anderen historischen Quellen versehene Besprechung. Die St. Wenzelsbibel
in aller ihrer Ausgaben wird gründlich beschrieben, es werden viele Informationen
über den historischen, literarischen und theologischen Hintergrund gegeben.
Ähnlich wie bei der Kralitzer Bibel werden die Bearbeiter genannt und ihre
jeweilige Bildungsherkunft vorgestellt.
Eine Besonderheit der St. Wenzelsbibel bildet ihre ungewöhnliche Anreihung
der Bücher in der Edition - zuerst kommt das Neue Testament, dann der zweite
Teil des Alten Testaments (die Propheten und die Makkabäerbücher) und zuletzt
der erste Teil des Alten Testaments (Genesis - Ecclesiasticus) heraus.
Obwohl die Verteilung der Vorreden deutlich zeigt, daß die Editoren das
biblische Kanon auf keine Weise durcheinander vermengen wollten, liegt
in der Anreihung der Bände viel mehr auf der Hand, als eine schlichte Pragmatik
der Herausgeber ("das zuerst zu drucken, was schon fertig ist").
Seine gut durchdachte Gründe für dieses Verfahren gibt in seinem Vorwort
Jan Fridrich, Erzbischof von Prag, an: "Weil dann die Ketzerschlauheit
sich insbesonders bemühte, das Neue Testament zu fälschen und aus ihm die
Grundlage ihrer Irrlehren nimmt, deshalb wollte unser oben erwähnter Vorfahre
[Matouš Ferdinand], daß das Neue Testament als erstes ans Licht gebracht
würde, mit einem Zusatz, zum Gebrauch und zur Belehrung der treuen Seelen,
eine Auslegung der Dinge, über die zwischen Katholiken und Ketzern Meinungsverschiedenheiten
bestehen; damit auf diesem Wege die Katholiken im wahren Glauben bestärkt
und die Ketzer zur Erkenntnis dieses wahren Glaubens geführt werden könnten"
(S. 124). Diese merkwürdige Kanonauffassung und ihre explizite Begründung
ist ein kostbares Beispiel für eine deutlich konfessions-apologetische
Funktion der Kanongestaltung der Bibel, was für die moderne Kanon-Hermeneutik
ein grosses Thema ist.
Von der Menge der besprochenen Einzelheiten möchte ich besonders auf die
Erwähnungen wichtiger Corrigenda hinweisen. Diese Studie bringt mehrere
detaillierte Verbesserungen und Korrekturen der Fachkenntnisse, welche
für die weitere Forschung einen bedeutenden Beitrag leisten.
"Wenn wir die Entwicklung der gedruckten tschechischen Bibeln im
ganzen bedenken, [...] so können wir darin zwei Höhepunkte wahrnehmen:
die Kralitzer und die St. Wenzels-Bibel (Svatováclavská)" - faßt
M. Bohatcová zum Schluß zusammen. Die Tradition der tschechischen Bibelübersetzungen
ist durch eine Sorgfalt in der philologischen Betreuung geprägt. In der
Brüderunität hat sie im 16. Jahrhundert in mehrere Editionen und immer
verbesserte Versionen der Kralitzer Bibel ausgemündet. In der römisch-katholischen
Kirche hat diese Tradition ihren Höhepunkt im 17. und 18. Jahrhundert in
der Ausgabe der sog. St. Wenzels-Bibel gefunden.
Die ganze Studie von M. Bohatcová ist exhaustiv konzipiert, übersichtlich
und ausgewogen gestaltet und sehr deutlich geschrieben. Bei offenen Fragen
liefert sie Argumentation pro und contra (oft mit Exkursen in die Geschichte
betreffender Kontroversen), und stellt deutlich eigene Meinungen und Urteile
dar. Sehr reich und beweiskräftig zitiert sie ihre Quellen und liefert
Hinweise auf weitere Besprechungen in der Fachliteratur. Im Ganzen trägt
dieser Beitrag deutliche Zeichen einer reifen Summe lebenslanger Forschung
über die gegebene Problematik und wird sicher weiterhin von den Fortsetzern
als ein wichtiger, orientierender Meilenstein auf dem Wege der weiteren
Untersuchungen angesehen und gebraucht werden.
II. Emanuel Michálek: Philologischer Kommentar
zur sechsteiligen Kralitzer Bibel (S. 183-214)
(zurück zum
Inhalt)
Der Autor beachtet besonders die Eigentümlichkeiten der Kralitzer Übersetzung,
durch welche sich diese von den älteren tschechischen Bibeln (besonders
der sog. Melantrich-Bibel, aber auch der Prager und Olmützer Bibeln) absondert.
Die Abweichungen werden auf dem Hintergrund der Originalsprachen (Hebräisch
und Griechisch), wie auch mehreren anderen Übersetzungen (vor allem den
wichtigen lateinischen Versionen wie Vulgata, Tremellius, Iunius u.ä.)
überprüft und charakterisiert. Der ganze Kommentar wird sehr übersichtlich
strukturiert - die Kapitel folgen die Kanon-Struktur der Kralitzer Bibel,
die Subkapitel widmen sich dann (a) der Sprache der Übersetzung und (b)
der Sprache des Kommentars.
Es wird festgestellt, daß sich die Kralitzer nicht da von den älteren tschechischen
Übersetzern absondern, wo diese nicht von dem Originaltext abweichen. So
wurden z.B. auch die Eigennamen (nomina propria) nach der gewöhnlichen
tschechischen Tradition verwendet (was für ein Riesenproblem die Eigennamen
für Bibelübersetzung darstellen, wird in der modernen ökumenischen Übersetzung
deutlich, wo in den üblichen Sprachgebrauch ziemlich tief eingegriffen
wurde). Das Bemühen den biblischen Text nicht nur verständlich, aber primär
getreu wiederzugeben, kommt besonders dort zum Ausdruck, wo die erzielte
Übersetzung als sprachlich unpassende gefühlt wurde - die Übersetzungsergänzungen
werden im Bibeltext mit kleineren Buchstabentypen gedruckt und in den Anmerkungen
wird auf verschiedene Weise über die Varianten berichtet (wörtliche Übersetzungen
von Hebraismen H., andere Text- und Übersetzungsvarianten G., sachliche
und sprachliche Erläuterungen T.). Die älteren tschechischen Übersetzungen
sind in der Wiedergabe oft viel mehr frei und problemlos.
Wie E. Michálek deutlich dokumentiert, ist die Kralitzer Bibel sprachlich
durch häufigen Gebrauch von Fremdwörtern und Diminutiven bezeichnend. Diese
Tatsache wird als Annäherung der gesprochenen Volkssprache gedeutet - ein
Zustand, den man in den Anmerkungen viel deutlicher als im Bibeltext nachweisen
kann (z.B. tschechische Biegung der Fremdwörter). An einigen Stellen sind
neue stylistische und ästhetische Qualitäten belegbar, z.B. Verwendungen
von Reimen oder Assonanzen (S. 193). Das Streben nach Verständlichkeit
führte die Kralitzer Übersetzer dazu, u.a. auch expressive Ausdrücke zu
verwenden. Diese tragen zur Wirkung des tschechischen Textes wesentlich
bei, wie der Autor überzeugend belegt. An manchen Stellen sollen sie den
expressiven Ductus der Originalsprache getreu zum Ausdruck bringen (z.B.
Ps 113,7 u.a.).
Im Ganzen bietet dieser Beitrag deutliche Thesen mit überzeugender Evidenz.
Häufig lädt die Beschreibung der Tatsachen direkt zu weiteren Überlegungen
ein: so wäre z.B. bei der Besprechung der Synonymen schöpfen, machen
und formen (Gen 2, 19; S. 191) zu erwägen, ob die Übersetzung der
Kralitzer nicht direkt an den hebräischen Ausdruck jatzar anknüpft,
welcher sich von den anderen Ausdrücken der Schöpfungsterminologie eben
dadurch absondert, daß er die "material-formierende" Konnotationen
besitzt (die Keramik aus dem Ton zu formen usw.).
An mehreren Stellen geht E. Michálek von dem sprachwissenschaftlichen Arbeitsfeld
zum theologischen Fachgebiet über. An zwei von diesen Stellen möchte der
Rezensent kleine kritische Notizen beifügen. Auf der Seite 194 behauptet
der Autor, daß die "reformatorische theologische Orientierung der
Kralitzer" dadurch bezeugt wird, daß man in den Kommentaren auch
bedeutende Autoren des christlichen Altertums wie Augustinus, Cyprianus,
Tertullianus u.a. zitiert. Solche Tatsache bezeugt m.E. vielmehr eine ökumenische,
sogar ökumenisch-katholische Orientierung (vgl. auch M. Balabáns These
über das "paradoxartige" Verständnis der biblischen Botschaft
bei den Brüdern, S. 261). Die reformatorische Orientierung wäre eher durch
Zitationen berühmter Autoritäten der Reformation (Calvin, Luther) oder
durch Anführung des reformatorischen theologischen Lehrguts zu belegen
(wie auf den Seiten 196f). Die zweite betrifft den Grundsatz "die
Schrift durch die Schrift auszulegen", der als "ein häufig
verwendetes Vorgehen" bezeichnet wird, wobei auf Comenius' Predigtlehre
hingewiesen wird. Weil es sich um eine wichtige Regel der reformatorischen
Schriftauslegung handelt (scriptura sacra sui ipsius interpres),
welche mit dem "formalen Prinzip der reformatorischen Theologie"
(sola scriptura) unmittelbar verbunden ist, wäre es m.E. geeignet,
es in diesem Zusammenhang deutlicher anzudeuten und auf die "erste
Instanz", nicht nur auf ihre spätere Nachwirkung, hinzuweisen.
Für den theologischen Fachbereich hat E. Michálek einen sehr wichtigen
Beitrag geleistet, indem er deutliche Spuren der eigenartigen Ekklesiologie
der Brüderunität in den Kralitzer Anmerkungen belegt. Es handelt sich um
die Einsicht, daß die allgemeine (katholische) Kirche Christi in einem
Nebeneinander verschiedener "Einheiten" ("Unitäten")
in dieser Welt existiert. Einen explizieten Niederschlag dieser Ekklesiologie
hat der Autor in der Kralitzer Anmerkung zur Apokalypse 22, 2 gefunden
(der "Ringplatz" wird hier als "die himmlische Stadt
oder [...] das getreue Volk, das in den verschiedenen Gemeinden
und Einheiten der heiligen Kirche weilt" gedeutet).
III. Jan Heller: Die Theologie der Kralitzer Bibel und ihre Erforschung in den letzten zwei Jahrhunderten (S. 215-242) (zurück zum Inhalt)
Die Studie von J. Heller faßt die kritische Arbeit an Kralitzer Bibel
forschungsgeschichtlich zusammen, berichtet über Erarbeitung verschiedener
Hilfsmittel zum Studium der Kralitzer Bibel und skizziert ihre theologischen
Grundzüge.
Kritische Erforschung der Kralitzer Bibel wird im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts durch zwei Arbeiten bahnbrechend eröffnet - den ausführlichen
Artikel von Josef Šmaha, Kralická bible, vliv a dùležitost její v literatuøe
èeské (Die Kralitzer Bibel, ihr Einfluß und ihre Bedeutung in der tschechischen
Literatur), ÈÈM 52, 1878, S. 252-266, 361-380, 481-499, und ein kleines
Buch von Jan Karafiát Rozbor Kralického Nového Zákona (Analyse des
Kralitzer NT), Praha 1878; beide sind in demselben Jahr erschienen. Die
erste Arbeit ist mehr deskriptiv, die zweite versucht die Übersetzungsmethode
und die Arbeit mit der Sprache kritisch zu behandeln. Dabei ist Karafiát
zu einer wichtigen Entdeckung gekommen, nämlich daß die ausländischen Exil-Ausgaben
den Kralitzer Text an manchen Stellen so "verbessert" haben,
daß es nötig scheint zu der Originalausgabe zurückzukehren und erst auf
dieser Grundlage weiterzuarbeiten. Eine solche Edition des Bibeltextes
erschien aber erst im Jahre 1940 (in Kutná Hora), jedoch ohne Apokryphen
und ohne Anmerkungen.
Gründlich stellt J. Heller die spannungsvolle Auseinandersetzung verschiedener
Theologen um die Überarbeitung (Revision) des Kralitzer Bibeltextes dar.
Auf der einen Seite wurde der Kralitzer Bibeltext als ein theologisch und
sprachlich kohärenter Würdengegenstand angesehen, auf der anderen Seite
war man sich schon seit der Zeit Karafiáts ganz eindeutig bewußt, daß der
Text an mehreren Stellen um seine Verständlichkeit willen korrekturbedürftig
ist. Jeder der mehreren Versuche (J. Hrozný 1913; J. Karafiát 1921, 1931,
1932; B.B. Bašus und B. Pípal 1984-1988, 5 Bde) hat dann immer nicht nur
ablehnende Kritik der Konservativen und Pietätvollen hervorgerufen, sondern
auch eine - viel wichtigere - tiefgreifende Diskussion und kritische Auseinandersetzungen
über die hermeneutische und übersetzungsmethodologische (und nicht zuletzt
theologische) Grundlagen dieser Unternehmungen. Es scheint bezeichnend
zu sein, daß keiner dieser Versuche den ganzen Bibeltext letztendlich verarbeiten
und eine bedeutende Rolle spielen vermochte. Den einzigen realisierten
Projekt einer Post-Kralitzer Gesamtausgabe der Bibel im Tschechischen stellt
also neben der verschiedenen Reeditionen der Kralitzer Bibel (meistens
in der Fassung 1613 mit kleinen Korrekturen von J. Karafiát) - nur die
ganz neue, sog. ökumenische Übersetzungen dar, welche seit dem Jahre 1961
bearbeitet wurde und im Jahre 1979 (Jubiläum der Kralitzer Bibel) zum ersten
Mal in einem Band erschien.
Ein anderes Forschungsfeld stellt die textkritische Frage nach den Vorlagen
des Kralitzer Bibeltextes. Nur in der Vorrede des fünften Teiles (Apokryphen,
1588) wird erwähnt, daß man die sog. Antwerper Polyglotte (1569-1572) gebraucht
hat. Slavomil Danìk interpretiert die Tatsache eines solchen Halb-Schweigens
ganz scharfsinnig - als Anzeichen eines theologischen Urteils: die Anonymität
der Vorlagen wie auch der Übersetzer der kanonischen Bücher möchte ein
Anzeichen sein, daß sie eigentlich kein Menschenwort sind; dagegen die
Apokryphen kann man (und soll man) ohne weiteres als menschliches Werk
auffassen.
Das Ergebnis der textkritischen Arbeit mehrerer Forscher (J. Karafiát,
S. Danìk, J. Konopásek, F.M. Dobiáš, L. Brož, J. Heller) kann man folgendermaßen
zusammenfassen: Man kann vermuten, daß die Kralitzer im allgemeinen u.a.
mit der Antwerper Polyglotte gearbeitet haben; der 3. Esra wurde aus der
griechischen, in Basel 1545 herausgegebenen Bibel übersetzt; für die J.
Blahoslavs Übersetzung des Neuen Testaments ist die lateinische Übersetzung
(und Anmerkungen) von Beza (die sog. Editio Barbirii, 1559) maßgebend gewesen.
Daneben haben die Kralitzer einen zwar nicht unkritischen, aber doch ehrwürdigen
Respekt zur Tradition der älteren Übersetzungen und der mündlichen Tradition
im Tschechischen gehalten. Auf dieser Grundlage versuchten sie - immer
aufs neue, bei jeder Edition verbessert - die neuesten Ergebnisse der humanistischen
Bibel- und Sprachwissenschaft zu berücksichtigen. Sie wurden von einem
Grundanliegen getrieben, dem Leser in den zahlreichen Varianten einen Anteil
an den Text-Spannungen und Leser-Entscheidungen zu geben. Die Sprache wollten
sie so deutlich gestalten, daß sie eine meist möglich angemessene Wiedergabe
der biblischen Botschaft darbiete. Die Übersetzer der Kralitzer Bibel vertraten
also eine dynamische Auffassung der biblischen Überlieferung, ganz fern
von der petrifizierenden Auffassung der Verbalinspiration und der Lehre
einer einzig richtigen Interpretation.
Ausführlich wird das seit Jahrzehnten gefühlte Bedürfnis einer neuen Herausgabe
der Kralitzer Anmerkungen dargestellt und verschiedene Versuche werden
in ihrem jeweiligen Kontext vorgestellt. Hier soll man besonders die wertvollen
Informationen über die (leider nicht durchgeführte) Arbeit S. Danìks und
seiner Mitarbeiter begrüßen, weil sie meistens nicht bekannt sind.
Nach dem breiten forschungsgeschichtlichen Überblick kommt J. Heller zu
seiner Zusammenschau der Theologischen Grundzüge der Kralitzer Bibel
(S. 239-242). Zuerst wird eine komprimierte Übersicht der Aspekte gegeben,
welche von anderen Forschern beschrieben wurden (J. Karafiát, S. Danìk,
F.M. Dobiáš, L. Brož und J.B. Souèek), dann wird dem Leser "ein
Blick in die Werkstatt der Kralitzer Übersetzer" geboten. Es wird
gezeigt, was für eine dynamische Auffassung der Schrift die Kralitzer gehalten
haben: keine verbale Inspiration, wo der Text ein autoritatives Diktat
ist, sondern eine fromme, aber zugleich meist kritische (und selbstkritische!),
dynamische Auffassung des Traditionsprozesses, welcher einerseits von Gott
behütet wird, an der Seite der Menschen aber zur höchst verantwortlichen
kritischen Arbeit an dieser "verläßlichen Nachricht über die rechte
Ehrung Gottes und über unser Heil" hinführt.
Seine Analyse der theologischen Charakteristik faßt J. Heller in vier Punkte
zusammen: "1. [Für die Kralitzer Bibel ist charakteristisch]
ein demütiger Eintritt in die Überlieferung in ihrer dynamischen Gestalt
- nämlich der Versuch, alle früheren tschechischen Übersetzungen einer
kritischen Prüfung zu unterziehen und auszuwerten. 2. Das Bezeichnende
ist weiterhin die wachsame Rücksicht auf den Urtext und seine Intention
und zugleich die sorgfältige Schichtung der ganzen vorangehenden Tradition.
3. Man findet weiterhin bei der Kralitzern eine dauernde Ehrfurcht vor
dem dynamischen Charakter des Wortes Gottes, das als Anrede die Herzen
trifft und zur Nachfolge aufruft, und nicht nur eine statische Sammlung
der dogmatischen Loci probantes ist. 4. Die Rücksicht auf die kerygmatische
Grundintention des Bibeltextes, oder anders gesagt: auf den Botschaftscharakter
der Bibel, die aus dem Glauben entstand und tradiert wurde und zum Glauben
führen möchte. [...]
Diese Ausgangspunkte haben den Kralitzer Meistern so viel Mut gegeben,
daß sie es gewagt haben, die Sprache völlig in den Dienst der Botschaft
zu stellen. [...] So ist die Kralitzer Bibel für uns bis heute die
Zusammenfassung der Reformationstheologie unserer Väter, ähnlich wie es
z.B. in Deutschland der Liber concordiae ist. Anderswo waren es die Bekenntnisschriften,
bei uns die Bibelübersetzung - die Kralitzer Bibel." (S. 242)
IV. Milan Balabán: Der Kralitzer Kurzkommentar zum Hohelied. Die theologische Bedeutung der Kralitzer Bibel-Anmerkungen (S. 243-269) (zurück zum Inhalt)
Wenn man sagen kann, daß J. Heller uns eine breite, vorwiegend forschungsgeschichtliche
"Luftaufnahme" der Theologie der Kralitzer Meister bietet (mit
einem kurzem Hinblick in die Werkstatt), dann sind wir in dieser letzten
Studie zur ausführlichen Exkursion in eine der geheimnisvollsten Schatzkammern
dieser Theologie eingeladen.
Die Rezeption des Hoheliedes in das biblische Kanon ist keine selbstverständliche
Sache gewesen und die Kommentare dieses besonderen Bibelbuches sind eine
der spannendsten theologischen Lektüre überhaupt. Der Autor widmet sich
diesem Thema lebenslang und seine Studie über den Kralitzer Kurzkommentar
zum Hohelied bietet eine gründliche Einleitung in die Hauptprobleme des
Buches wie auch in die theologische Feinsinnigkeit der Kralitzer Übersetzer
und Interpreter.
Im Einklang mit dem Hauptstrom der christlichen wie auch jüdischen Tradition
verstehen und interpretieren die Kralitzer das Hohelied allegorisch - das
Liebesverhältnis zwischen dem und der "Geliebten" wird als eine
Metapher der geistlichen Beziehung zwischen dem Herrn und seinem Volke,
bzw. zwischen dem Christus und seiner Kirche aufgefaßt. Es handelt sich
also grundsätzlich um keine erotischen Lieder - alle Aussprachen und Bilder
sind zwar wörtlich übersetzt, aber metaphorisch interpretiert. In dem Gebrauch
der Allegorese sind jedoch die Kralitzer Theologen ziemlich zahm. Im Gegensatz
zu vielen anderen Kommentaren treiben sie "keine wilde Allegorese.
In ihrer theologischen Sicht wird [...] vielmehr ein Gleichnis angeboten"
(S. 248), wie M. Balabán am Beispiel aus dem Hohelied 4,6 demonstriert:
Interpretation des Satzes "deine zwei Brüste sind wie zwei Kitze"
in der Tradition (jüdische Auslegungen, Kirchenväter, Augustinus, Tertullianus,
Nicolaus von Lyra und J. Hus) und in der Kralitzer Anmerkungen.
Die theologisch charakteristischen Züge beschreibt der Autor in sechs Kapiteln:
1. Liebe als Nachfolge, 2. Innigkeit, 3. Charakter der Gegenwart Gottes
in der Kirche und in der Welt, 4. Lehre als Kraft und Freude, 5. Vorhersehende
Führung Gottes und 6. Eschatologischer Horizont - Ekklesia für Andersgläubige.
Der ganze Hauptteil dieser Studie wird dann mit der Überschrift Die
Theologie der Gegenwart Gottes in der Welt der Suchenden versehen.
Die Kralitzer Anmerkungen sind einerseits "voll von Innigkeit,
Herzlichkeit, Freudigkeit, einer gewissen Emotionalität", anderseits
kämpfen sie mit der Spannung, welche die verborgene und sich verbergende
Gegenwart Gottes in dieser geistlich, kirchlich, sozial und politisch gespaltenen
Welt für die "Geliebten" dieses Gottes hervorruft. Die Brüder
"[...] scheinen ‚reformiert' zu denken, aber ‚lutherisch' zu fühlen"
- faßt M. Balabán aphoristisch zusammen.
Die ganze Studie M. Balabáns wird dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht
zögert die besprochene Problematik in den heutigen theologischen und hermeneutischen
Sprachgebrauch zu versetzen; in einigen Teilen geht die Besprechung der
Kralitzer Theologie fast in ein thematischen theologischen Essay über.
Der Leser wird also nicht nur über den feinen theologischen "Duft"
der Kralitzer "Nahrung" informiert, sondern wird zugleich in
die "Küche" eingeladen und darf auch selber etwas aus den Töpfen
kosten.
Im Anhang (S. 269) deutet M. Balabán noch einige Themen an, welche weiter
zu untersuchen sind: 1. das (sehr eng gegenseitiges) Verhältnis der Christologie
und Ekklesiologie, 2. die Pneumatologie (besonders die Möglichkeiten einer
Wirkung des Heiligen Geistes außerhalb der Kirche), 3. die Hamartologie
(besonders das Unterscheiden zwischen Sünde und Versuchung) und 4. die
Politologie, bzw. die Spuren des "politischen Engagements" der
Kralitzer Anmerkungen.
An den Seiten 275-322 kann man Abbildungen der gedruckten Bibeln des
15.-18. Jahrhunderts finden, eingeleitet mit einem Verzeichnis von
M. Bohatcová (S. 271-274). Diese Abbildungen - teils schwarz-weiß, teils
dreifarbig (schwarz-rot-weiß) - geben die Titelseiten und einige typische
Abbildungen der besprochenen Bibeln wieder und ergänzen glücklich die Besprechung
von M. Bohatcová an. Die Abbildungen sind in höchster graphischer Qualität
wiedergegeben und mit kurzen Beschreibungen versehen. Ein Namenregister
(verfaßt von M. Bohatcová) schließt das Kommentarenband zusammen (S. 323-330).
Zusammenfassend soll man m.E. den Kommentarband der Paderborner Ausgabe
der Kralitzer Bibel als einen sehr wichtigen Forschungs- und Editionsbeitrag
begrüßen. Er stellt eine zusammenfassende Summe der bisherigen Forschung
über die Kralitzer Bibel auf dem buchwissenschaftlichen, philologischen
wie auch theologischen Arbeitsfeld dar. Weil hier immer die besprochene
Problematik auch in ihrer forschungsgeschichtlichen Perspektive dargestellt
wurde (mit ausführlichen Bibliographien), wird dieser Band sicher eine
orientierende Grundlage weiterer Studien bilden. Die Autoren laden dazu
an vielen Stellen explizit ein.
In technischer und formaler Hinsicht wurde die Publikation sehr sorgfältig
herausgegeben. Druckfehler sind äußerst selten und stören keineswegs die
Verständlichkeit; die einzigen Ausnahmen sind vielleicht: auf der Seite
231 (Anmerkung 30), wo statt verších (Reime) verzích (Versionen)
zu lesen ist (vgl. deutsche Übersetzung); auf der Seite 261 im Text die
Anmerkungangabe 31 am Ende des vorletzten Absatzes zu wischen (richtig
kommt sie auf der Seite 263 wieder). Eine gewisse Konfusion kann man in
der Weise finden, wie biblische Bücher in Abkürzungen angegeben sind. Man
kann bei verschiedenen Autoren diverse Systeme wiederfinden: M. Bohatcová
gibt die ganzen Buchnamen an, J. Heller und M. Balabán haben sich mehr
oder weniger dem deutschen Standard angeschlossen (Balabán aber ohne Interpunktion),
E. Michálek scheint oft den lateinischen Usus zu gebrauchen; so wird z.B.
der erste Korinterbrief als 1. Kor., 1 Kor und 1 Cor zitiert, oder das
erste Samuelbuch als 1 Rg. Ab und zu kann mann sogar Variationen bei einzelnen
Autoren finden. Diese redaktionelle Uneinigkeit hängt sicher auch damit
zusammen, daß kein Bibelstellenregister verfaßt wurde. Ein solches Register
würde ohne Zweifel den Wert dieses biblisch-historischen, biblisch-philologischen
und biblisch-theologischen Kompendiums noch erhöhen.
Im Gegenteil zu dem Kommentarenband der Kuttenberger-Bibel-Ausgabe wurden
in dieser Ausgabe alle Texte grundsätzlich deutsch verfaßt. Das ist auf
diesem Fachgebiet keinesfalls ein Nachteil, eine sprachliche Kohärenz soll
man eher begrüßen. Vielleicht wäre es wünschenswert doch auch kurze Summarien
z.B. im Englischen zuzufügen, wie es in der oben genanten Ausgabe der Fall
war.
3. Fazit (zurück zum Inhalt)
Der Paderborner Nachdruck der Kralitzer Bibel ist ohne Zweifel eine ausgezeichnet gelungene Edition und ein sehr wichtiger Beitrag für die gegenwärtige wie auch künftige historische, literarische und theologische Forschung über die Kralitzer Bibel. Diese Edition macht nicht nur die bisher sehr schwierig zugänglichen Texte allen Interessierten gut und vertraulich erreichbar, sondern bietet in ihrem Kommentarenband eine gründliche Orientierung und repräsentative Zusammenfassung der bisherigen Forschung und lädt damit zu weiteren Studien ein. Es ist nur zu wünschen, daß diese Edition viele interessierte, tüchtige und fleißige Leser findet.
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