Fremde, die uns angst machen
– Fremde, mit denen uns angst gemacht wird

Martin Prudký

Vortrag am Symposium "60 Jahre nach dem Pogrom an den Juden
in Opole (Oppeln) Polen, den 10. November 1998
(wird erscheinen im Sammelband des Symposiums).

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Einleitendes ( zum Inhalt )

        Zuerst möchte ich Sie um Verständnis bitten, daß ich hier nicht nur als Tscheche, sondern auch als christlicher (evangelischer) Theologe, ja sogar als sogenannter „Alttestamentler" auftrete – ich finde es zu diesem Thema gewissermaßen fremd (um das erste Stichwort meines Themas gleich aufzugreifen); es macht mir zwar keine angst ... und ich hoffe, daß ich durch mein Auftreten auch Ihnen keineswegs angst machen werde... Jedenfalls hoffe ich, daß sie meine Bemerkungen und Reflexionen zu unserem Thema tolerant (gutmütig) – wie scharf kritisch auch! – aufnehmen.

Inspiration und Imagination der Bibel – über die Fremde, bzw. über die Angst ( zum Inhalt )

        Ich möchte für unser Thema zuerst einige Impulse aus der biblischen Tradition anführen. Nicht deswegen, weil ich ohne ein passendes Bibelzitat meinen Mund nicht öffnen könnte, sondern deswegen, weil ich immer noch davon überzeugt bin, daß wir hier in Europa (wie entfremdet auch schon!) doch unsere Inspiration, Orientierung und Imagination in schwierigen Fragen in der biblischen Tradition sinnvoll suchen können. Gerade auf einer Tagung, welche an die schreckliche Pogromnacht vor 60 Jahren erinnern und diese reflektieren möchte, finde ich es ganz sachgemäß, zu unserem Thema eine orientierende Stimme aus dem Tenach (dem sog. Alten Testament) zu hören.
        Ich möchte hier keineswegs einen biblisch-theologischen Vortrag halten, nur einige Gedanken zum Verorten unseres Problemfeldes und zur Inspiration anführen. – Wie ist es mit dem Fremden und mit der Angst in der Bibel?
        Über den Fremden oder über die Fremde spricht die hebräische Bibel oft und verschiedenartig. Das hängt ohne Zweifel mit dem Interesse zusammen, die eigene Identität deutlich zu beschreiben, bzw. die eigene Position gegen andere mögliche Volks- und Religionswesen abzugrenzen. Das biblische Zeugnis soll dann auch die eigene Identität des Gottesvolkes nicht nur in Worte fassen, sondern ganz konkret dem weiteren Aufbau und der Profilierung der Religionsgemeinschaft dienen (kritisch wie auch selbstkritisch). Darum muß man auch über die anderen (über die Fremden) deutlich sprechen.
        Für den anderen oder den Fremden hat die biblische Sprache mehrere Ausdrücke, welche verschiedene Aspekte des Anders-Seins äußern (auf der einen Seite sind hier z.B. die sogn. gerím, d.h. die Einheimischen, welche zusammen „mit uns" im Lande leben und einen legalen Status in der Gesellschaft haben; auf der anderen Seite muß man aber auch über die großen Feindmächte, die imperialen Großreiche der Zeit sprechen – das sind natürlich /der Sache entsprechend/ die gehaßten Bedroher und Erzfeinde /hebr. ´ojeb, ´ojbím/, z.B. die Ägypter, die Assyrer oder die Babylonier).
Für unseres Thema finde ich sehr wichtig, daß die Bibel (das heißt: das Glaubenszeugnis Israels) nicht nur nach außen, sondern auch nach innen scharf kritisch ist und deutliche Konturen zieht: an vielen Stellen und mit mehreren Fachausdrücken spricht sie über die Gefahren, die von innen die eigene Identität entfremden. Man kann sagen: die befremdende Andersartigkeit, welche als feindliche Bedrohung, ja als destruktive Entfremdung der eigenen Bestimmung empfunden wird, kommt – nach dem Zeugnis der Bibel – sogar hauptsächlich von dieser Seite! Das sollten wir gut hören.

        Das hat ganz direkt mit dem zweiten Stichwort unseres Themas zu tun: mit der Angst. In der Bibel wird viel über die Angst gesprochen, gerade auch in Verbindung mit den Feinden. Man kann behaupten, daß es ganz selbstevident sei. Es ist doch ganz normal Angst zu haben, wenn man sich von den mächtigen Feinden bedroht fühlt. Aber – und das ist für unser Thema äußerst wichtig – wir finden in der Bibel nicht, daß man die Angst (das Angst-Machen) zur Stärkung der Motivation oder der Kampfbereitschaft des Gottesvolkes benutze. Im Gegenteil – die Angst wird als lähmend empfunden; man soll - und man kann! - von Angst frei sein (befreit werden). Darum geht es! Der Standardspruch der Bibel zu dieser Sache, zu unserem Thema („Fremde, die uns angst machen") lautet dann:
        Fürchte dich nicht! ... Fürchtet euch nicht vor ihnen! (Dtn 1,21; Jos 1,9; Ex 14,13; Dtn 1,29 e.a.).
Diese Sätze kommen so oft und so formelhaft in der Bibel vor, das man sie im gattungskritischen Sinne als eine Formel bezeichnet; man nennt sie Heilsorakelformel. – Das heißt: mit diesen Worten, welche die Angst aus der Beziehung zu den Fremden wie durch einen Exorzismus hinaustreiben sollen, verkündet der biblische Sprecher seinen Zuhörern das Heil, die Rettung. ... Als ob die Rettung vor der Angst nicht nur eine Voraussetzung für die Rettung vor den Feinden wäre, sondern die Hauptsache selbst.
        (Ich komme am Ende meines Beitrags auf dieses wichtige Moment zurück.)

Zum Thema – Aktuell ( zum Inhalt )

        Wenn ich von der aktuellen Lage in unserer tschechischen Gesellschaft sprechen soll, möchte ich meine Bemerkungen auf die zwei Ebenen verteilen, die in der Zweiteiligkeit der Ûberschrift formuliert worden sind: zuerst möchte ich sprechen über „die Fremden, die uns angst machen" – also über das Problem der spontanen, oft irrationalen Furcht vor dem Fremden; dann zweitens über „die Fremden, mit denen uns angst gemacht wird" – also über das Problem der gezielten Nutzung, oft einer planmäßigen Propaganda, die diese Furcht vor Fremden für eigene Gewinne mißbraucht und die Gesellschaft durch Angstmachen zu manipulieren versucht.

a) Fremde, die uns angst machen ( zum Inhalt )

        Zuerst möchte ich deutlich sagen, daß unser Verhältnis zu den Fremden in der Gesellschaft (...zu den anderen, die neben uns, unter uns und mit uns leben), nicht ihr, sondern unser Problem ist. Das kann man ganz klar an der christlich-jüdischen Beziehung beobachten. Und gestern konnten wir aus allen Beiträgen erfahren, wie anders mit diesem Problem umgegangen wird (kritisch ... selbskritisch ... wie auch apologetisch ...). – Besonders wenn man von einer normativ geprägten Wahrnehmungsweise, oder einfach von einer gesellschaftlichen Majoritätsperspektive ausgeht, ist man geneigt diese Perspektive für den Standard zu halten und die Andersartigkeit der Minoritäten als Abweichung oder sogar Deviation zu betrachten. Die Lösung wird dann logischerweise darin gesehen, daß sich die Minoritäten der „Norm" anpassen; dazu kommt oft noch, daß sie dabei auch die Kosten tragen sollen. Die Majorität fühlt sich meistens großzügig genug, wenn sie ein solches Verfahren toleriert oder vielleicht sogar gewisse Beihilfe zur besseren Anpassung leistet.
        Diese grundsätzlich egozentrische und egoistische Haltung dem anderen und Fremden gegenüber ist der Kontext, in dem wir mit unserer Angst vor dem Fremden umgehen. Diese Angst, die irrationale Unruhe und das Gefühl des Bedrohtseins äußert unsere eigene Unsicherheit – darum - sage ich - ist diese Angst primär unser Problem, nicht das des anderen; darum ist auch der Umgang mit diesem Problem primär unsere Aufgabe, nicht die des anderen.
        Bevor ich über die Lage in meinem Lande etwas Konkretes sage, möchte ich einleitend auf eine historische Tendenz hinweisen, welche gerade im Bezug auf unser Thema wichtig und gefährlich zu sein scheint. In unserem Lande ist die Gesellschaft (die Bevölkerung) Jahrhunderte hindurch sehr bunt und verschiedenartig gewesen. Wie auch hier in Ober-Schlesien, in Polen überhaupt und in ganz Mitteleuropa war es für die geschichtliche Entwicklung sehr prägend, daß sich in der Gesellschaft mehrere Stimmen, mehrere Traditionen und verschiedene Perspektiven geäußert und ausgewirkt haben – z.B. für Prag, die historische Hauptstadt unseres Landes mit ihrer reichen Geschichte, sind nicht nur die tschechischen, sondern – ohne Zweifel – auch die deutschen und die jüdischen Wurzelen ganz grundsätzlich prägend. In den letzten Jahrzehnten aber – besonders in den letzten circa 53 Jahren, im direkten Zusammenhang mit den Kriegsereignissen, derer wir hier gedenken und im Zusammenhang mit ihren Auswirkungen – ist dieses breite und bunte Spektrum verschwunden und die Gesellschaft bei uns sehr homogen geworden. Nach dem Krieg konnten die jüdischen und die deutschen Traditionen keinen eigenen Beitrag für die Gestaltung der Gesellschaft mehr leisten. Leider! Die Gründe dafür waren von beiden ganz verschieden, aber der Niederschlag, die Auswirkung für die Gesamtheit der Bevölkerung in der Tschechoslowakei war ähnlich – die prägende Kraft kommt seit dieser Zeit nur von seiten der slawischen Völker (der Tschechen und der Slowaken). Nach 1992, nach der Teilung der tschechoslowakischen Föderation ist die Lage noch homogener und dadurch noch gefährlicher geworden: beide neuen Größen sind eigentlich Nationalstaaten geworden. Eine solche Homogenität ist an sich gefährlich; wir haben es früher bei den anderen großen Nationalstaaten Europas (bei den Fremden) gespürt. Eine solche Homogenität erweckt den Eindruck, als ob die Gleichartigkeit ein normativer Standard wäre. Andersartigkeit wird als fremd empfunden. Das gibt allen Extremisten die Möglichkeit, die Fremdenfurcht der Majorität für eigene Ziele zu benutzen. Nicht nur den politischen Extremisten, sondern auch den Glaubens-Rigoristen militanter Art.
        Das gehört aber schon zu dem zweiten Teil unseres Themas; ich möchte noch einige konkrete Bemerkungen und Erfahrungen zu dem ersten Teil, zu der spontanen Furcht vor dem Fremden erwähnen.

        Für die spontane Furcht vor dem Fremden sind meistens traditionelle und geschichtlich gewonnene Vorurteile prägend. Das kann man in unserer heutigen tschechischen Gesellschaft sehr gut nachweisen; nicht jeder Ausländer wird gleichartig fremd wahrgenommen – es gibt große Unterschiede: z.B. werden die Amerikaner von vielen Leuten als ziemlich positiv empfunden, obwohl es für eine problematische Haltung auch einige gute Gründe gäbe, aber diese werden ausgeklammert, weil ihre Kommerzaktivitäten im Lande (oder einfach schon ihre bloße Präsenz bei uns) als Symbolzeichen der politischen Wende wahrgenommen werden; dagegen werden die Russen ebenso pauschal als ziemlich negativ empfunden, weil sie immer noch mit der Verknechtung nach 1948 und ganz besonders nach 1968 in Verbindung gebracht werden.
Neben vielen Fremden, welche meistens als neutral empfunden werden, gibt es einige, mit denen wir uns in unserem Lande bis heute schwer tun. Ich werde die zwei wichtigsten nennen. Nochmals möchte ich dabei betonen, daß ich über unser ungelöstes Problem und unsere Angst spreche.
Manche Leute bei uns haben Angst vor Deutschen – nicht alle, sicher nicht die Mehrheit, aber doch viele ... meistens die ältere Generation, welche den Krieg noch persönlich mitgemacht hat. Natürlich handelt es sich hier um mehr als nur das persönliche Kriegserlebnis; die Auseinandersetzung der deutschen und der tschechischen Identität in unserem Lande ist tief in der Geschichte verwurzelt und hat besonders seit dem 19. Jahrhundert mit seiner Betonung der Nationalität eine große Rolle bei der Ausformung des Selbstbewußtseins gespielt. Ich würde sagen (und das ist, wie sie wissen, bei uns gerade in den letzten Jahren ein heikler Punkt), daß die spontane, irrationale Furcht mit der mangelhaften kritischen – selbstkritischen! – Reflexion dieses Problemkomplexes zusammenhängt. Ganz speziell handelt es sich um das Verhältnis zu den sog. Sudetendeutschen und die Angst, die aus diesem unverarbeiteten Thema hervorgeht.
 
Das zweite, was ich auf diese Weise konkret nennen will, ist unser Verhältnis zu den Roma, den sog. Zigeunern. Das Zusammenleben mit dieser Minorität zeigt, daß unser Problem mit „den Fremden" überhaupt nicht nur auf Ausländer oder Fremdlinge zu begrenzen ist. Die Roma leben – wie unintegriert auch immer – seit dem Mittelalter im Land; das heißt, sie haben alle entscheidenden Ereignisse unserer Geschichte mit uns und unter uns mitgemacht. Jedoch sind sie bis heute erkennbar anders geblieben und werden bis heute als fremd empfunden; ihr Leben ist oft nicht ganz in die Mehrheitsgesellschaft integriert. Zur Zeit, ganz aktuell, haben wir beschämend große Probleme in unserem Zusammenleben: die Rechtsextremisten haben die alte Waffe des Nationalismus und des massiven Rassismus wiederentdeckt und in unser Leben eingeführt. Seit der Wende sind in unserem Land mehr als dreißig Leute aus eindeutig rassistischen Gründen getötet worden. Was gestern über die Eskimos gesagt wurde (im Bezug auf das Vernichten der Juden), gilt auch hier. Die Extremisten kommen nicht von außerhalb – sie sind ein Teil unserer Gemeinschaft. Und was die Lage ganz einschneidend prägt, ist die Gleichgültigkeit der Allgemeinheit. Die Täter fühlen sich nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, eher die Opfer!
Ich habe schon erwähnt, daß wir in unserem Land in diesem Jahrhundert eine mehr und mehr homogene Gesellschaft haben ... und daß es gefährlich ist. Die Roma sind zur Zeit die größte gut identifizierbare Minorität, sie werden als anders und fremd empfunden. Die Mehrheitsgesellschaft muß darum äußerst behutsam sein, damit diese Minorität nicht zum Sündenbock ihrer Probleme wird – zur Zeit können wir in dieser Hinsicht sicher nicht stolz sein. Es ist beschämend zu erfahren, daß unsere Roma im Westen (z. B. in Canada) politisches Asyl wegen Verfolgung in der Heimat bekommen.

b) Fremde, mit denen uns angst gemacht wird ( zum Inhalt )

        Und mit welchen Fremden wird uns zielbewußt angst gemacht?
Dieses Problem ist mehrschichtig. Z.B. wird natürlich auf der politischen Bühne von einigen Gruppen die Furcht vor Deutschen gepflegt und vor den Wahlen für die Manipulation der Leute mißbraucht. Dies passiert, wie man auch erwarten kann, bei den extremistischen Parteien – planmäßig bei den Kommunisten und bei den Republikanen, teilweise auch bei einigen anderen.
        Die Probleme mit den Roma werden (um den Leuten angst zu machen und dadurch sie für eigene Ziele zu gewinnen) nur von den rassistischen Republikanen mißbraucht. Diese Partei ist auch die einzige, die sich in einer ausgesprochen antisemitischen Rhetorik übt – merkwürdigerweise in viel geringerem Umfang als in der rassistisch gegen die Roma orientierten Rhetorik. Ein hoffnungsvolles Zeichen scheint zu sein, daß diese äußerst gefährliche Propaganda bei den letzten Wahlen (Juni 1998) nicht mehr erfolgreich zu wirken schien und diese Partei aus dem Parlament verschwunden ist. Einige von den ehemaligen Koalitionsparteien haben sogar schon verstanden, daß sie in dieser Sache entschieden und offensiv auftreten müssen und versuchen bereits den Rassismus in unserer Gesellschaft zu bekämpfen.

        Eine ziemlich neue Erscheinung bei uns sind seit der Wende viele Migranten, Schwarz- und Gastarbeiter, die meistens aus den östlichen europäischen Ländern, hauptsächlich aus der Ukraine, Rußland und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, aber auch aus China und Vietnam kommen. Bis jetzt werden sie nicht so sehr als eine wirtschaftliche Bedrohung, sondern als Gefährdung der Sicherheit wahrgenommen, besonders die Russen. Die Irrationalität kann man daran erkennen, wie man über die russische und ukrainische Mafia spricht. Man weiß meistens sehr wenig über sie, man empfindet sie als fremd – so ist pauschal jeder solche Ausländer verdächtig, Mafioso zu sein, ... also nicht nur fremd, sondern negativ gefärbt, ein potenzieller Missetäter, gefährlicher und unerwünschter Gast, ein Feind. Die geschichtlichen Vorurteile kommen noch dazu.

        Eine ganz besondere Neuerscheinung stellt das Aufkommen der Moslems in der Öffentlichkeit dar. Es sind zur Zeit nur einige Zehntausend im Land, meistens Unternehmer und Studenten aus arabischen Länder, aber es scheint sehr empfindlich zu sein. Bis zum letzten Jahr gab es bei uns im ganzen Lande keine einzige Moschee oder islamisches Zentrum. In einigen Städten wurden die Pläne, eine Moschee oder ein Zentrum aufzubauen, ziemlich kräftig bekämpft. Die Fremdheit, die Furcht und das Angst-Machen haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Im allgemeinen hat man mit der Angst vor dem sog. „islamischen Terrorismus" in diesem propagandistischen Kampf gespielt, speziell wurde dann seitens einiger kirchlicher Gemeinden auch das überholte Argument gebraucht, daß unser Land doch traditionell christlich sei und der Staat jede Ausbreitung des Islam mit seinen Machtmittelen verhindern sollte. – Diese peinliche Episode zeigt m.E. deutlich, wie die Furcht vor dem Anderen mit der eigenen Schwachheit zusammenhängt; unser Land, wie christlich es auch in der Vergangenheit gewesen sein mag, ist seit Jahrzenten mehrheitlich säkularisiert ... und die Kirchen, wie entschieden auch immer in der eigenen Position und ihrem eigenen Profil, sind nicht im Stande, das Aufkommen des Islams als eine Aufforderung zum Dialog und zur Begegnung mit dem anderen (der aber nicht ein Feind ist !) zu verstehen. Vielleicht ist es nur ein erster, krampfhafter Schritt in einem langen Lernprozeß. Hoffentlich.
Übrigens, als dieses Jahr in Brno (Brünn, Süd-Mähren) das erste islamische Bildungszentrum im Lande (mit Moschee, Bibliothek und mehreren Unterrichts- und Versamlungsräumlichkeiten, aber ohne Minaret!) geöffnet wurde, sind bei der feierlichen Eröffnung auch Repräsentanten der örtlichen christlichen Kirchen – der katholischen, der evangelischen wie auch der orthodoxen, und sogar auch der kleinen jüdischen Gemeinde präsent gewesen; beiderseits wurde dabei die Hoffnung geäußert, daß man in aller Verschiedenheit doch ganz friedlich zusammenleben will und daß dieses Zentrum ein Zeichen dafür sein soll.

Perspektive, Ausweg? ( zum Inhalt )

        Dieser letztgenannte Beispiel führt mich zu der Frage, wo man Perspektiven und Auswege suchen und finden kann. – Zwei Bemerkungen; erstens eine ein bißchen allgemeine, zweitens eine spezifisch auf die religiösen Spannungen zugespitzte:
1/ Obwohl ich nicht geneigt bin die Macht einer zielbewußten Propaganda zu unterschätzen (ich habe doch die entscheidende Mehrheit meines Leben unter einer totalitären Herrschaft gelebt), denke ich dennoch, daß man heute nicht so einfach den Leuten angst machen kann. Der Zeitgeist ist nicht allzu tauglich dafür. Eine Verschiebung der allgemeinen Wahrnehmug wirkt sich auch hier aus; gelegentlich wird es mit dem Stichwort Post-Moderne bezeichnet. Für diese neue Gesinnung – wie man sie auch bezeichnen will – ist u.a. bezeichnend, daß sie die eigene Identität nicht so stark in Gegensätzen profiliert (durch deutliche und gut erkennbare Abgrenzung dem „Anderen" /dem „Fremden"/ gegenüber), sondern auch eine gewisse interne Multivalenz und Mehrdeutigkeit erträgt. Vielleicht kann man sogar sagen, daß diese post-moderne Haltung im Grunde eine Pluralität willig und gern akzeptiert, daß sie selbst nach Inspiration aus fremden Quellen fragt und eine offene, aufgeschlossene Identität aufbaut.
Im Bezug auf unser Thema heißt das: In einem solchen Kontext kann man nicht einfach „mit dem Fremden angst machen"; der Fremde, der andere wird entweder als neutral empfangen, weil – wie man dann sagt – „jeder Mensch in seiner Eigenständigkeit seine eigene Wahrheit darstellt", oder der Fremde wird sogar in seiner Andersartigkeit (Fremdartigkeit) als positiv inspirierend, als eine willkommene Provokation des Üblichen empfunden. – Die Furcht ist irgendwie nicht mehr selbstverständlich da.
        Ich spüre diese Verschiebung in der Grundhaltung an der Prager Universität ziemlich stark – man kann es aber sicher nicht verallgemeinern. Sicher sind gerade in den letzten Jahren auch in unserem Lande Anhänger rigoristischer Ideologien vieler Art aufgetaucht, welche die eigene Position ganz feindlich allen anderen gegenüber profilieren (und den Fremden brauchen, um mit der Angst fleißig arbeiten zu können).
Aber in der Kirche setzen sich diese Verschiebungen meistens ziemlich langsam durch. Oft sind die Kirchen etwa eine Geschichtsepoche zurück, was den Zeitgeist und seine geschichtlichen Anforderungen anbelangt.

2/ Nicht nur der allgemeine Zeitgeist bringt etwas positives mit sich. Man hat glücklicherweise auch einige erfreuliche Verschiebungen gerade da erreicht, wo man es nicht so selbstverständlich erwartet hätte.
        Wir sind zu dieser Tagung wegen des Jubiläums der tragischen Judenverfolgung und Judenvernichtung hier zusammengekommen. Wir sind zusammen in Auschwitz gewesen und gestern haben wir uns an die brutale Vernichtung der Synagoge der jüdischen Gemeinde dieser Stadt erinnert. Ich möchte zum Schluß nicht mit einem Happy-End auftreten, aber doch: vielleicht ist es gerade in diesem Zusammenhang passend zuletzt auf die mühsame, aber doch merkbar positive Verschiebung in dem Verhältnis von Juden und Christen in mehreren Teilen der Welt hinzuweisen.
        Nach dem Kriege sind unter den Christen manche endlich zur Erkenntnis gekommen, daß die Vernichtung der Juden, die Shoa, mit der tausendjährigen Tradition des christlichen Antijudaismus eng zusammenhängt – und daß es keinen anderen Ausweg gibt als den der Buße, einer tiefgreifenden Bekehrung, einer gründlichen Umkehr. Es liegt ohne Zweifel noch ein langer Weg vor uns; gewisse gute Schritte sind aber – sogar von Juden und Christen zusammen – schon gemacht.
        Was unser Thema anbetrifft, hat man auch schon etwas gelernt: den anderen soll man als Partner wahrnehmen und kennenlernen; er soll nicht ein Fremder bleiben. Gerade die jüdische Identität, welche zu den Wurzeln der christlichen Tradition gehört, darf dem Christen vielleicht wohl als eine „andere", nicht aber als eine „fremde" gelten.
Letztes Jahr hat der Internationale Ausschuß für Christen und Juden (ICCJ; ein weltweites Gremium mit gutem Ruf und mit wahrhaftiger Vertretung beider Partnerseiten) eine große Konferenz in Rom veranstaltet unter dem Titel: The Other as Mystery and Challenge (der andere als Geheimnis und Herausforderung); dies drückt ganz deutlich die Verschiebung im Betrachten des anderen aus. Der Partner ist in seiner Andersartigkeit als eine Einladung zur Begegnung verstanden; eine Einladung, die auch bisher unbekannte Geheimnisse zu entschlüsseln und meine eigene Position selbstkritisch hinterfragen zu lassen verspricht. Keinesfalls soll man wegen dieser Begegnung die eigene Identität verdecken oder sogar verlassen. Man kann aber mit Staunen erfahren, wie jeder Partner durch eine solche Begegnung bereichert wird. – Die Angst, die Furcht vor dem anderen verschwindet; die Angst nämlich lähmt ... die kritische (und selbstkritische) Aufgeschlossenheit wirkt befreiend.

Fazit ( zum Inhalt )

        Ganz zum Schluß möchte ich noch zusammenfassen, was mir am Herzen liegt (und was schon zwischen den Zeilen teilweise gesagt wurde):
        Die Fremden sollen uns keine angst machen.
Die anderen, die Fremden sollen uns keine angst machen, eher unser Interesse wecken und unsere Aufgeschlossenheit prüfen. Mit anderen Worten: dem anderen gegenüber werden wir geprüft.
        Was wir fürchten sollen ist unser eigenes Fremd-Sein und Verfremdet-Werden,
... unsere Entfremdung, welche unsere eigene Identität vernichtet, sodaß wir dann verschiedenartigen Ängsten und Ungeisten des Bösen ausgeliefert sind. Hier können wir das biblische Heilswort (jetzt komme ich zu der Inspirationkraft der Bibel zurück) „Fürchte dich nicht!" ganz aufmerksam und fleißig hören; „Fürchtet euch nicht!" – das sollen wir hören;
... und nicht nur hören, sondern auch weiter als Heilswort verkünden (unter uns, dann auch unter und gegenüber den anderen);
... und natürlich nicht nur verkünden, sondern auf diese Weise mit den andern zusammen leben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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